Weihnachtsgedanken 2014 – Fragwürdige Weihnachten

Weihnachten war mir seit Jugend an fragwürdig; das will nicht meinen: zweifelhaft, sondern des Fragens würdig.

In jungen Jahren war es mir eine lästige Tradition, zum Mitternachtsgottesdienst zu gehen, wenn mich da nicht ein älterer Mann im Halbdunkel der hohen Deckenlichter in seinen Bann gezogen hätte. Die zeitliche Entfernung hat ihn in meinen Erinnerungen verwischt und verklärt. Manchmal scheint er mir wie nur erträumt, bis ich mir plötzlich selbst wie geträumt scheine. Dann verliert er sich, und Jahre vergehen zu Dekaden, bis er mir erneut aus einer Vergessenheit zum Traum erwacht.

Auf der kalten Holzbank mit den dünnen Sitzkissen höre ich ihn sprechen:
„Finde die Fragen!“
Genau so und ganz anders musste es sich zugetragen haben! Oder war dies nur der Erinnerungsfetzen aus einem Hörspiel? Ganz gleich: Geblieben ist dieser Ausspruch, der wie erhoben über allen Glauben und erhaben über allen Zweifel steht, und mich lehrt, dass die Welt ohne Fragen verstummt, keine Buch spricht, das nicht befragt, und der Andere fraglos anders bleibt. Ohne Frage keine Antwort!

Zur Mitternachtsstunde ertönen im Orgelklang die großen Fragen: Pilatus spricht: „Was ist Wahrheit?“, Hiobs „Warum?“ bringt die Götter zum Schweigen, und die Jünger flüstern sich zweifelnd zu: „Was sagst du, wer er sei?“ Das Rätselhafte tritt auf und wir hinein, worin wir selbst zur Frage und zum Befragten werden.

Letztlich sind es Fragen, die wir leben, weil sie uns beleben. Und wer weiß: Am Ende – ein jegliches Ende – zählt nicht alleinig die rechte Antwort, die wir gefunden haben, sondern geworden sind.


Günther Bially